02/07/2024 0 Kommentare
Ausstellung: Martin Luther und das Judentum - Rückblick und Aufbruch
Ausstellung: Martin Luther und das Judentum - Rückblick und Aufbruch
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Ausstellung: Martin Luther und das Judentum - Rückblick und Aufbruch
Das Jahr des 500. Jahrestages des Reformationsgedenkens geht seinem Ende entgegen. Es wurde in diesem Jahr schon viel gedacht und gefeiert, nicht zuletzt beim Kirchentag. Und vielleicht haben manche von Ihnen auch die Miniatur-Weltausstellung zur Reformation in Wittenberg besichtigt. Der eigentliche Feiertag, der Höhepunkt des Gedenkens, der 31. Oktober, Reformationstag – ist in diesem Jahr erst- und einmalig bundesweiter Feiertag. (Auch das gibt’s nur einmal in 500 Jahren!)
Das Reformationsgedenkjahr haben wir im Kirchenkreis Reinickendorf mit einem besonderen Highlight beschlossen, der Wanderausstellung "Martin Luther und das Judentum".
Diese Ausstellung stellte auf 17 Großtafeln das schwierige Verhältnis der evangelischen Kirche lutherischer Prägung zum Judentum dar, von den Anfängen im Mittelalter und bei Luther selbst bis zum Holocaust und den Wandel dieses Verhältnisses in der Nachkriegszeit bis heute. Die Autoren der Ausstellung sind u.a. Prof. Sara Nachama, Rektorin des Touro College Berlin und Prof. Peter von der Osten-Sacken, ehem. Leiter des Instituts Kirche und Judentum.
Martin Luther hat uns ein ambivalentes Erbe hinterlassen. Das 500jährige Reformationsjubiläum ist deshalb auch Anlass zur kritischen Rückschau. Den großartigen Leistungen Luthers beim Übersetzen und bei der Kommentierung der Bibel (die meisten seiner Schriften sind Bibelauslegungen des Alten und des Neuen Testaments), bei seinem Engagement für das Priestertum aller Glaubenden, für die Predigt und den Gottesdienst in deutscher Sprache, für einen Glauben ohne Angst vor Gott, stehen Schriften und Aussagen gegenüber, die uns heute schwer zu schaffen machen. Dazu gehören seine politischen Aussagen, mit denen er die Gewalt der Fürsten gegen die aufständischen Bauern legitimiert. Vor allem gehören dazu seine judenfeindlichen Schriften, in denen Luther zur Vertreibung der Juden, zum Verbrennen der Synagogen, zur Zwangsarbeit für Juden, zur Vernichtung jüdischer Schriften u.v.m. aufruft.
Luther schätzte die hebräische Sprache der Bibel und war in jungen Jahren dialogbereit gegenüber dem Judentum und der jüdischen Auslegung der Bibel. In seiner Schrift von 1523, "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei", kritisiert er scharf das bisherige Verhalten der Christen. Luther fordert, die Juden wie Menschen und nicht wie Hunde zu behandeln und keine Lügen über sie zu verbreiten. Wenige Jahre später kehrt sich diese Haltung Luthers ins Gegenteil. Das hängt offensichtlich mit seiner Enttäuschung zusammen, dass die Kirchenreform und der evangelische Glaube keine Anziehung auf die Juden ausübten. Luther hatte gehofft, dass sich die Juden in der von Rom befreiten Kirche nun dem Christentum zuwenden und sich taufen lassen würden.
Seine judenhassenden Schriften hatten allerdings keine praktischen Auswirkungen, denn im Kurfürstentum Sachsen gab es zu Luthers Zeiten keine jüdischen Gemeinden. Nur einzelne jüdische Familien lebten auf dem Land. Insofern könnte man diese Lutherschriften als einmalige Entgleisung beiseiteschieben, wenn nicht die Geschichte 400 Jahre nach Luther und nach der Aufklärung und nach der Blütezeit des liberalen Judentums in Deutschland eine schreckliche Wendung genommen hätte. Denn wörtlich genau das, was Luther 1543 fordert, wird am 9. November 1938 durchgeführt: Synagogen gehen in Flammen auf, Juden werden gelyncht, die heiligen Schriften werden verbrannt, Geschäfte geplündert, Existenzen zerstört. Und das war nur der Anfang des unglaublichsten Verbrechens der Geschichte, der Vernichtung von sechs Millionen Juden durch Deutsche, die mehrheitlich der Meinung waren, sie wären gute Christen.
Die evangelische Kirche hat dazu geschwiegen. Selbst innerhalb der Bekennenden Kirche, die sich gegen die nationalsozialistische Gleichschaltung stellte, war der Antisemitismus selbstverständlich. Otto Dibelius, Mitglied der Bekennenden Kirche und nach dem Krieg Berliner Bischof und Ratsvorsitzender der EKD, bekannte sich klar zum Antisemitismus: Man kann nicht verkennen, dass bei allen zersetzenden Erscheinungen der modernen Zivilisation das Judentum eine führende Rolle spielt. (Dibelius 1928) Noch 1964 verlautbarte er, er habe Juden stets gemieden, nämlich: nicht in feindlicher Gesinnung, aber doch so, dass man das Fremdartige in ihrem Wesen spürte.
Nach dem Krieg begann man unter der Last der drückenden Schuld, in der evangelischen Kirche neu über das Verhältnis zum Judentum nachzudenken. Heute ist dieses Verhältnis von zunehmender Offenheit und Toleranz und gegenseitigem Interesse geprägt. Doch auch 70 Jahre nach der Shoa stehen Christen noch am Anfang dieses Prozesses.
Gerade in einer Zeit des wieder aufflammenden Antisemitismus in Deutschland war diese Ausstellung eine wichtige Quelle der Aufklärung und der Erkenntnis. Die Frage, ob es ohne Luthers antijüdische Schriften dennoch zum Holocaust gekommen wäre, konnte die Ausstellung nicht beantworten, sie zeigte aber erschütternde Zusammenhänge.
Die Ausstellung "Martin Luther und das Judentum - Rückblick und Aufbruch" wurde am Sonntag, dem 1. Oktober 2017 um 11 Uhr im Rahmen eines besonderen Gottesdienstes feierlich eröffnet. Sie war bis zum 3. November 2017 in der Hoffnungskirche Neu-Tegel, Tile-Brügge-Weg 49-53, 13509 Berlin, zu sehen.
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10-16 Uhr (bitte in der Kita oder im Gemeindebüro melden) und nach Vereinbarung (0160 91 30 62 82)
Den Flyer zur Ausstellung finden Sie hier.
Im Rahmen der Ausstellung fanden verschiedene thematische Veranstaltungen statt:
- 1. Oktober, 11 Uhr: Gottesdienst mit Eröffnung der Ausstellung
- 7. Oktober, 19 Uhr: Hawdala-Konzert mit Avitall Gerstetter
- 11. Oktober, 19 Uhr: Vortrag zu Antisemitismus heute
- 21. Oktober, 19 Uhr: "Von Noah bis zur Hochzeit in Kana" - Wein in Bibel und Kunst (Vortrag)
Foto: Ausschnitt aus dem Weimarer Altarbild von
Lucas Cranach (sen./jun.) mit dem Motiv Gesetz und Evangelium
(Stadtkirche St. Peter und Paul, 1555)
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